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Die Kunst des Träumens

Quelle: die Kunst des Träumens

 

 

Wie die Zauberer das Wesen des Universums gesehen haben

 

Das Wesen des Universums, behaupteten sie, gleiche einer Konfiguration von weißglühenden Fasern, die sich ins Unendliche erstreckten, leuchtende Gespinste, die auf eine dem menschlichen Denken unvorstellbare Art mit Bewußtsein begabt sind. |

Nachdem die Zauberer der Vorzeit das Wesen des Universums sahen, gingen sie einen Schritt weiter und sahen auch das energetische Wesen des Menschen. Sie hätten die Menschen in Gestalt von leuchtenden großen Eiern gesehen, sagte Don Juan, und sie folglich als leuchtende Eier beschrieben.

»Wenn Zauberer einen Menschen sehen«, sagte Don Juan, »sehen sie eine große leuchtende Gestalt, die dahinschwebt und bei ihrer Fortbewegung eine tiefe Furche in der Energie der Erde hinterläßt, als hätte die leuchtende Gestalt eine nachschleppende Pfahlwurzel.«

Don Juan meinte, daß unsere Energiegestalt sich mit der Zeit verändert habe. Denn alle Seher, die er kannte - und auch er selbst -, hätten die Menschen wohl eher in Kugelgestalt oder sogar in Form von eckigen Grabsteinen gesehen, nicht in eiförmiger Gestalt. Es komme aber immer wieder vor, daß Zauberer einen Menschen sehen, dessen Energiefeld wie ein Ei geformt ist. Heutige Menschen, deren Energiefeld wie ein Ei geformt ist, sagte Don Juan, hätten eben Ähnlichkeit mit den Menschen früherer Zeiten.

Der Montagepunkt

Immer wieder kam Don Juan bei seinen Lehren auf die - wie er glaubte - wichtigste Entdeckung der alten Zauberer zu sprechen. Sie hätten nämlich in der leuchtenden Kugelgestalt des Menschen ein besonderes Merkmal gefunden: einen runden Fleck von stärkerer Leuchtkraft, nicht größer als ein Tennisball, und immer im Inneren der leuchtenden Kugel lokalisiert und von deren Glanz überstrahlt - etwa einen halben Meter hinter dem rechten Schulterblatt des Betreffenden.

Dies konnte ich mir nur schwer bildlich vorstellen, als Don Juan es mir zum erstenmal beschrieb, und darum betonte er, daß die leuchtende Kugel natürlich viel größer sei als der menschliche Körper, den sie einhülle. Jener stärker leuchtende Punkt sei aber Bestandteil der Energie-Kugel und befinde sich in Höhe der Schulterblätter, etwa eine Armeslänge hinter dem Körper des Menschen. Weil nun die alten Zauberer sahen, was dieser leuchtende Punkt macht, nannten sie ihn den Montagepunkt.

»Also, was macht der Montagepunkt?«

»Nun, er macht, daß wir wahrnehmen«, antwortete er. »Die alten Zauberer sahen, daß an diesem Punkt die Wahrnehmung des Menschen zusammengesetzt, sozusagen >montiert« wird. Und weil die alten Zauberer sahen, daß nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen solch einen leuchtenden Punkt haben, vermuteten sie, daß Wahrnehmung generell an diesem Punkt stattfindet, wie auch immer.«

»Was sahen die alten Zauberer? Und wieso kamen sie zu dem Schluß, daß die Wahrnehmung im Montagepunkt zusammengesetzi wird?« fragte ich. Sie sahen, erstens, erzählte Don Juan, daß unter Millionen. leuchtender Fäden, die durch die leuchtende Kugelgestalt hindurchgehen, nur ein kleiner Teil direkt den Montagepunkt schneidet - wie auch zu erwarten, nachdem er ja, im Vergleich zum Ganzen, viel kleiner sei.

Sie sahen, zweitens, daß der Montagepunkt immer von einer weiteren Sphäre glühender Leuchtkraft umgeben ist, ein wenig größer als er selbst, wodurch das Licht der direkt durch diese Glut hindurchgehenden Fasern ganz wesentlich verstärkt werde.

Und schließlich sahen sie noch zwei Dinge: zum einen, daß der Montagepunkt eines Menschen sich von der Stelle lösen kann, wo er normalerweise lokalisiert ist; und zum anderen, daß Wahrnehmung und Bewußtsein, solange der Montagepunkt in seiner gewohnten Position ruht, anscheinend normal sind, soweit man dies nach dem normalen Verhalten der beobachteten Personen beurteilen kann. Wenn aber der Montagepunkt und die ihn umgebende glühende Sphäre sich in einer anderen als der üblichen Position befinden, scheint ihr ungewöhnliches Verhalten zu beweisen, daß ihr Bewußtsein anders beschaffen ist; daß sie Wahrnehmungen von ungewöhnlicher Art haben.

 

Mit sanfterer Stimme meinte er dann, daß es für Zauberer gewiß sehr viel sicherer ware, sich einzig auf die Beschreibung dessen zu beschranken, was sie sehen; daß aber die Versuchung, Schlußfolgerungen und Erklärungen zu suchen, wenn auch nur für sich selbst, viel zu groß sei, um ihr zu widerstehen.

Der Effekt jener Verschiebung des Montagepunktes sei aber eine weitere Energie-Konfiguration, die die Zauberer der Vorzeit sehen und studieren konnten. Wird der Montagepunkt in eine andere Position verschoben, sagte Don Juan, so tritt dort ein neues Konglomerat von Millionen leuchtender Energiefasern zusammen. Dies sahen die Zauberer der Vorzeit und schlossen daraus, daß die Wahrnehmung, da die Glut der Bewußtheit immer dort ist, wo der Montagepunkt sich befindet, automatisch dort »montiert«, also zusammengesetzt wird. Wegen der unterschiedlichen Position des Montagepunktes kann die daraus resultierende Welt aber nicht unsere Alltagswelt sein.

Die alten Zauberer, erklärte Don Juan, unterschieden zwei Arten von Verschiebung des Montagepunktes. Zum einen eine Verschiebung in irgendeine Position an der Oberfläche oder im Innern der leuchtenden Kugel; diese Verschiebung nannten sie die Verlagerung des Montagepunktes. Zum anderen eine Verschiebung in eine Position außerhalb der leuchtenden Kugel; diese Verschiebung nannten sie Bewegung des Montagepunktes. Der Unterschied zwischen einer Verlagerung und einer Bewegung, so stellten sie fest, liege in der Natur der Wahrnehmung, die beide ermöglichen.

Weil es sich bei Verlagerungen des Montagepunktes um Verschiebungen innerhalb der leuchtenden Kugel handelt, sind die dadurch erzeugten Welten, wie bizarr oder wunderlich oder unglaublich sie auch sein mögen, gleichwohl Welten, die im Bereich des Menschlichen liegen. Der Bereich des Menschlichen, das sind die Energiefasern, die durch die gesamte leuchtende Kugel hindurchgehen. Bewegungen des Montagepunktes hingegen, weil sie Verschiebungen in Positionen außerhalb der leuchtenden

Kugel sind, aktivieren Energiefasern von jenseits des menschlichen Bereichs. Solche Fasern wahrzunehmen, erzeuge Welten, die völlig unvorstellbar sind - unbegreifliche Welten, ohne jede Spur menschlicher Präzedenz.

 

»Da bleibt dir nur eines übrig«, erwiderte er, »nämlich, den Montagepunkt zu sehen. Das Sehen ist nicht so schwer. Die Schwierigkeit liegt darin, die begrenzende Mauer zu durchbrechen, die wir in Gedanken errichten und die uns an unserem Ort hält. Um sie aufzubrechen, brauchen wir nur Energie. Sobald wir Energie haben, geschieht das Sehen uns wie von selbst. Der Trick besteht darin, unsere Festung der Selbstzufriedenheit und falschen Sicherheit zu verlassen.«

»Mir ist klar, Don Juan, daß das Sehen viel Wissen voraussetzt. Es kann doch nicht nur darum gehen, ob man Energie hat.«

»Glaube mir, es geht nur darum, daß man Energie hat. Schwieriger ist es, sich zu überzeugen, daß man es kann. Dazu muß man dem Nagual vertrauen. Das Erstaunliche an der Zauberei ist, daß jeder Zauberer sich alles durch eigene Erfahrung beweisen muss.

 

 

 

Wie sieht der Ernergiekörper eines Nagual aus

 

Überhaupt war Don Juans Rolle in der Welt der Zauberer in dem Titel zusammengefaßt, den seine Genossen ihm zuerkannten: sie nannten ihn den Nagual. Dieser Begriff, so erklärte man mir, bezeichne eine Person, ob männlich oder weiblich, die eine bestimmte Art von Energie-Konfiguration besitzt, von der Art, die einem Seher als doppelte leuchtende Kugel erscheint. Die Seher glauben nämlich, daß diese zusätzliche Energieladung, sobald ein solcher Mensch in die Welt der Zauberer eintritt, sich in einer gewissen Stärke und in der Fähigkeit zur Führung anderer äußert. Der Nagual ist also der natürliche Führer, das Haupt einer Gruppe von Zauberern. Don Juan solches Vertrauen entgegenzubringen empfand ich anfangs als fragwürdig, wenn nicht sogar abstoßend. Doch als ich mit ihm darüber sprach, versicherte er mir, daß es ihm ebenso schwergefallen sei, seinem Lehrer in solchem Maß zu vertrauen.

Die Kohesion

Ein weiteres Thema, das Don Juan mir erklärte, war die Notwendigkeit energetischer Kohäsion und Gleichförmigkeit als Voraussetzung der Wahrnehmung. Er behauptete, daß wir Menschen unsere Welt, wie wir sie kennen, nur deshalb so wahrnehmen, wie wir es tun, weil uns Kohäsion und energetische Gleichförmigkeit gemeinsam sind. Diese beiden Energie-Zustände erreichen wir ganz automatisch im Verlauf unserer Erziehung und halten sie für so selbstverständlich, daß wir ihre große Bedeutung nicht erkennen, bis wir mit der Möglichkeit konfrontiert sind, andere Welten wahrzunehmen als diese eine, die wir kennen. In solchen Augenblicken zeige sich aber, daß wir eine angemessene, neue energetische Gleichförmigkeit und Kohäsion brauchen, um zusammenhängend und umfassend wahrzunehmen.

Ich fragte ihn, was solche Gleichförmigkeit und Kohäsion denn seien, und er erklärte mir, daß die Energiegestalt der Menschen insofern gleichförmig sei, als alle Menschen auf dieser Erde die Form einer Kugel oder eines Eis hätten. Die Tatsache, daß die Energie des Menschen in Ei oder Kugelform zusammengehalten werde, sei doch Beweis für ihre Kohäsion. Ein Beispiel für eine neue Gleichförmigkeit und Kohäsion, sagte er, wäre die Energiegestalt der alten Zauberer, wenn sie sich zur Linie 
streckten: jeder von ihnen wurde gleichförmig zu einer Linie, und blieb zusammenhängend als Linie. Gleichförmigkeit und Zusammenhalt als Linie erlaubten es diesen alten Zauberern, eine homogene neue Welt wahrzunehmen.

»Wie kann man Gleichförmigkeit und Kohäsion erwerben?« fragte ich.

»Der Schlüssel ist die Position des Montagepunktes, oder vielmehr die Fixierung des Montagepunktes«, sagte er.

Dies wollte er damals nicht weiter erläutern, und darum fragte ich ihn, ob jene alten Zauberer zur Eigestalt hätten zurückkehren können. Irgendwann hätten sie dies gekonnt, sagte er, aber sie taten es nicht. Und dann setzte die Kohäsion der Linie ein und machte es ihnen unmöglich, zurückzukehren. Was aber eigentlich diesen Zusammenhalt als Linie herbeiführte und mithin die Zauberer hinderte, einen Rückweg zu finden, hatte etwas mit Unbescheidenheit und Willkür zu tun. Der Umfang dessen, was diese Zauberer als Energielinien wahrnehmen und bewirken konnten, war unermeßlich viel weiter als das, was ein durchschnittlicher Mensch oder durchschnittlicher Zauberer tun oder wahrnehmen könnte.
Bei einer kugelförmigen Energieformation, erklärte er mir, bestünde der menschliche Bereich aus jenen Energiefasern, die durch den Raum innerhalb des Kugelumfangs hindurchgingen.

Normalerweise nähmen wir nämlich nicht den ganzen
menschlichen Bereich war, sagte er, sondern vielleicht ein Tausendstel davon. Dies allein zeige die Ungeheuerlichkeit dessen, was die alten Zauberer taten; sie streckten sich zu einer Linie, tausendmal weiter als der Kugelumfang menschlicher Energie, wobei sie sämtliche Energiefasern wahrnehmen konnten, die diese Linie schnitten.

Von Don Juan angeleitet, gab ich mir die allergrößte Mühe, dieses von ihm entworfene Modell der Energie-Konfiguration zu begreifen. Und endlich kapierte ich die Vorstellung von Energiefasern im Inneren wie außerhalb der menschlichen Kugelgestalt. Wenn ich mir aber eine Mehrzahl leuchtender Kugeln dachte, brach das Modell für mich zusammen. Bei vielen Kugeln nebeneinander, so dachte ich, müßten jene Energiefasern, die außerhalb einer Kugel sind, zwangsläufig im Inneren einer angrenzenden Kugel sein. Also konnte es bei einer Mehrzahl von Kugeln keine Energiefäden außerhalb von leuchtenden Kugeln geben.

»Gewiß ist es eine Zumutung für deine Rationalität, all dies zu verstehen«, antwortete Don Juan, nachdem er sich meinen Einwand angehört hatte. »Ich kann dir nicht erklären, was die Zauberer unter solchen Fasern im Inneren und außerhalb der menschlichen Gestalt verstehen. Wenn Seher die menschliche Energiegestalt sehen, dann sehen sie eine einzelne Energiekugel. Gibt es daneben noch eine weitere Kugel, so wird diese Kugel wiederum als einzelne Energiekugel gesehen. 

Energie Borgen

Die Vorstellung einer Mehrzahl leuchtender Kugeln stammt aus deiner Kenntnis menschlicher Massen. Im Universum der Energie gibt es nur einzelne Individuen - allein, umgeben vom Grenzenlosen. Und dies mußt du selbst sehen!«
Damals widersprach ich Don Juan und meinte, daß es sinnlos sei, mir zu sagen, ich solle es selbst sehen, da er doch wisse, daß ich dies nicht könne. Und er schlug vor, ich solle mir seine Energie borgen und sie zum Sehen benutzen.

»Wie kann ich das tun? Deine Energie borgen?«

»Ganz einfach. Ich kann bewirken, daß dein Montagepunkt sich in eine andere Position verlagert, die besser geeignet ist, Energie unmittelbar wahrzunehmen.«

Dies war das erste Mal, soweit ich mich erinnere, daß er ausdrücklich über etwas sprach, das er schon die ganze Zeit getan hatte: namlich mich in einen unbegreiflichen Bewußtseinszustand zu versetzen, der meiner Vorstellung von der Welt und mir selbst widersprach - einen Zustand, den er die zweite Aufmerksamkeit nannte. Um also meinen Montagepunkt in eine Position zu verlagern, die besser geeignet war, Energie direkt wahrzunehmen, gab Don Juan mir einen Schlag auf den Rücken, zwischen den Schulterblättern, und mit solcher Gewalt, daß ich den Atem anhalten mußte. Ich glaubte, ich wäre ohnmächtig geworden, oder sei durch die Wirkung des Schlages in den Schlaf versetzt. 

 

 

 

Die zweite Aufmerksamkeit

 

»Es bedeutet, in die zweite Aufmerksamkeit einzutreten, indem man den Montagepunkt in seiner neuen Position festhält und ihn daran hindert, an seine ursprüngliche Stelle zurückzugleiten.«

Dann gab mir Don Juan eine überlieferte Definition der zweiten Aufmerksamkeit. Die alten Zauberer, sagte er, bezeichneten das Resultat solcher Fixierung des Montagepunktes in neuen Positionen als zweite Aufmerksamkeit und behandelten die zweite Aufmerksamkeit und behandelten die zweite Aufmerksamkeit als eine Sphäre allumfassender Aktivität, ähnlich wie die Aufmerksamkeit des Alltagslebens es ist.

Er betonte, daß die Zauberer eigentlich zwei abgeschlossene Bereiche ihres Strebens kennen: einen kleineren, den sie als erste Aufmerksankeit bezeichnen - als Alltagsbewußtsein oder Fixierung des Montagepunktes in seiner gewohnten Position; und einen viel größeren Bereich, nämlich die zweite Aufmerksamkeit - die Bewußtheit anderer Welten oder die Fixierung des Montagepunktes in einer von unzähligen neuen Positionen.

Im Zustand der zweiten Aufmerksamkeit ließ Don Juan mich unbegreifliche Dinge erleben, und zwar durch einen Kunstgriff der Zauberer, wie er es nannte: er gab mir einen leichten Schlag auf den Rücken, manchmal auch einen kräftigen Schlag, etwa in Höhe der Schulterblätter. Dadurch verschob er meinen Montagepunkt, wie er erklärte. Aus meiner Erfahrung betrachtet, bedeuteten solche Verschiebungen, daß mein Bewußtsein in einen höchst unheimlichen Zustand nie gekannter Klarheit geriet - ein Zustand der Überbewußtheit, in dem ich zeitweilig alles voraussetzungslos verstand. Es war kein ganz angenehmer Zustand. Meistens war es wie ein seltsamer Traum, so intensiv, daß normale Bewußtheit im Vergleich dazu verblaßte.
Don Juan erklärte mir, daß ein solcher Kunstgriff unverzichtbar sei. Denn im normalen Bewußtseinszustand müsse ein Zauberer 
seinen Schülern die Grundbegriffe und praktischen Übungen vermitteln und in der zweiten Aufmerksamkeit dann die abstrakten, ausführlicheren Erklärungen geben.

Normalerweise erinnerten sich die Schüler gar nicht an diese Erklärungen, sagte er, aber irgendwie könnten sie diese speichern und wortgetreu im Gedächtnis bewahren. Die Zauberer nutzten dabei eine scheinbare Besonderheit unseres Gedächtnisses und hätten folglich die Erinnerung all dessen, was ihnen in der zweiten Aufmerksamkeit widerfahre, zu einer der schwierigsten und komplexesten traditionellen Aufgaben der Zauberei entwickelt.

Diese scheinbare Besonderheit des Gedächtnisses und die Arbeit des Erinnerns erklärten die Zauberer nun in der Weise, daß der Montagepunkt jedesmal, wenn man in die zweite Aufmerksamkeit eintritt, eine andere Position einnimmt. Erinnern bedeute also, den Montagepunkt in genau die Position zurückzubringen, die er zu dem Zeitpunkt einnahm, als jenes Eintreten in den Zustand der zweiten Aufmerksamkeit stattfand. Don Juan überzeugte mich, daß die Zauberer nicht nur das totale und absolute Gedächtnis hätten, sondern daß sie auch jede Erfahrung erinnern könnten, die sie im Zustand der zweiten Aufmerksamkeit machten: nämlich indem sie ihren Montagepunkt in die entsprechende Position zurückführten. Dieser Arbeit des Erinnerns, versicherte er mir, widmeten die Zauberer sich Zeit ihres Lebens.

 

 

Traumlektion

»Ich werde dich also den ersten Schritt zur Kraft lehren«, sagte Don Juan am Anfang seiner Unterweisung in der Kunst des Träumens. »Ich werde dich lehren, das Träumen zu arrangieren.«

»Was bedeutet es, das Träumen zu arrangieren?«

»Das Träumen zu arrangieren bedeutet, eine exakte und praktische Kontrolle über die allgemeine Situation eines Traumes zu haben. Du träumst zum Beispiel, du bist in deinem Hörsaal an der Universität. Das Träumen zu arrangieren bedeutet nun, daß du diesen Traum nicht in einen anderen abgleiten läßt. Du springst also nicht etwa vom Hörsaal in die Berge. Mit anderen Worten, du kontrollierst den Anblick des Hörsaals und läßt ihn nicht los, bevor du dies willst.«

»Ist so etwas aber möglich?«

»Natürlich ist es möglich. Solch eine Kontrolle unterscheidet sich nicht von der Kontrolle über jede beliebige Situation des täglichen Lebens. Aufgrund ihrer Übung können die Zauberer diese Kontrolle ausüben, wann immer sie wollen. Um dich selbst zu üben, sollst du am Anfang etwas ganz Finfaches tun. Heute abend sollst du zum Beispiel im Traum deine Hände anschauen.«

Viel mehr wurde darüber, im Zustand des Alltagsbewußtseins, nicht gesprochen. Als ich mich aber an meine Erfahrungen in der
zweiten Aufmerksamkeit erinnerte, wurde mir klar, daß wir ein 
viel ausführlicheres Gespräch hatten. Ich kritisierte zum Beispiel die Absurdität eines solchen Vorhabens, und Don Juan empfahl mir, die Sache doch als einen unterhaltsamen Versuch aufzufassen, nicht so ernst und schwer,

»Solange wir über das Träumen sprechen, kannst du tiefgründig sein, wie du willst«, sagte er, »Erklärungen verlangen stets schwierige Gedanken. Wenn du aber träumst, sollst du dich ganz leicht machen. Das Träumen soll ernsthaft betrieben werden, aber fröhlich und mit der Zuversicht eines sorglosen Menschen. Nur unter dieser Bedingung können sich deine Träume tatsächlich zum Traumen weiterentwickeln.«

Beabsichtigen

 

Gib dir aber keine Mühe, dir bewusst zu machen, daß du einschläfst. Laß deinen Energiekörper dies tun. Beabsichtigen heißt Wünschen, ohne zu wünschen, und Tun, ohne zu tun.
Akzeptiere einfach das Beabsichtigen«, fuhr er fort. »Sei im Stillen, und ohne jeden Gedanken, davon überzeugt, daß du deinen Energiekörper erreicht hast und daß du ein Träumer bist. Dies wird dich automatisch in die Lage versetzen, dir bewußt zu machen, daß du einschläfst.«

»Wie kann ich mich überzeugen, daß ich ein Träumer bin, wenn ich es doch nicht bin?«

»Sobald du hörst, daß du dich von etwas überzeugen sollst, flüchtest du dich zu deiner Vernunft. Ja, wie kannst du dich überzeugen, daß du ein Träumer bist, wenn du weißt, daß du es nicht bist? Beabsichtigen ist beides: das Dich-Überzeugen, daß du ein Traumer bist, auch wenn du noch nie geträumt hast, und das Überzeugtsein davon.«

»Du meinst also, ich soll mir sagen, ich sei ein Träumer, und mir alle Mühe geben, es zu glauben? Ist es so?«

»Nein, so ist es nicht, Beabsichtigen ist viel einfacher und zugleich unendlich viel komplizierter, Es verlangt Vorstellungskraft, Disziplin und Zielstrebigkeit. In deinem Fall verlangt das Beabsichtigen unbedingtes Wissen deines Körpers, daß du ein Träumer bist. Mit allen Zellen deines Körpers mußt du »
fühlen und wissen, daß du ein Träumer bist.«

 

 

 

Die erste Pforte

 

»Ist es das Ziel des Träumens, den Energiekörper zu beabsichtigen?« fragte ich, einem sonderbaren Gedanken folgend. »Ja, so könnte man es ausdrücken«, sagte er. »In diesem Fall, da wir über die erste Pforte des Träumens sprechen, ist es das Ziel des Träumens, zu beabsichtigen, daß dein Energiekörper sich des Einschlafens bewußt wird. Gib dir aber keine Mühe, dir bewußt zu machen, daß du einschläfst. Laß deinen Energiekörper dies tun. Beabsichtigen heißt Wünschen, ohne zu wünschen, und Tun, ohne zu tun.

Akzeptiere einfach das Beabsichtigen«, fuhr er fort. »Sei im Stillen, und ohne jeden Gedanken, davon überzeugt, daß du deinen Energiekörper erreicht hast und daß du ein Träumer bist. Dies wird dich automatisch in die Lage versetzen, dir bewußt zu machen, daß du einschläfst.«

In einem anderen Gespräch, zu einem anderen Zeitpunkt, kam er plötzlich auf das Thema zurück. Er sagte: »Ich wiederhole dir noch einmal, was du beim Träumen tun mußt, um die erste Pforte des Träumens zu passieren. Erstens mußt du deinen Blick auf irgend etwas fixieren, das du dir zum Ausgangspunkt wählst. Dann wende dich anderen Gegenständen zu und beobachte sie, mit kurzen Blicken. Richte deinen Blick auf so viele Dinge, wie es dir möglich ist. Bedenke, wenn du nur kurz hinschaust, verändern die Bilder sich nicht. Dann kehre zu dem Gegenstand zurück, den du zuerst angeschaut hast.«

»Was bedeutet es, die erste Pforte des Träumens zu passieren?«

»Wir erreichen die erste Pforte des Träumens, indem uns bewußt wird, daß wir einschlafen, oder indem wir einen ungeheuer realen Traum haben, wie du ihn hattest. Sobald wir die Pforte erreicht haben, müssen wir sie durchschreiten: dies gelingt uns, indem wir das Bild jedes Gegenstandes in unserem Traum festhalten .«

»Beinah schaffe ich es, die Gegenstände meiner Träume ruhig anzuschauen, aber sie lösen sich zu schnell auf.«

»Genau das ist es, was ich dir sagen wollte. Um die Flüchtigkeit der Träume auszugleichen, sind die Zauberer darauf verfallen, irgendeinen Gegenstand als Ausgangspunkt zu benutzen. Immer wenn du diesen Gegenstand isolierst und ansiehst, flutet dir eine Welle von Energie entgegen, und darum solltest du anfangs nicht zu viele Dinge in deinen Träumen ansehen. Vier Gegenstände 
genügen für den Anfang. Später kannst du den Rahmen erweitern und alles betrachten, was dir gefällt. Aber sobald die Bilder sich verändern und du spürst, daß du die Kontrolle verlierst, sollst du zum Ausgangspunkt zurückkehren und noch einmal von vorne anfangen.«

»Glaubst du, daß ich wirklich die erste Pforte des Traumens erreicht habe?«
»Ja, und das war ein großer Schritt. Wenn du weitermachst, wirst du feststellen, wie leicht das Träumen dir jetzt fällt.«
Ich glaubte, daß Don Juan übertrieb oder mir schmeicheln wollte. Aber er versicherte, daß er es aufrichtig meine.
»Merkwürdig ist«, sagte er, »daß die Träumer, wenn sie die erste Pforte erreichen, auch den Energiekörper erreichen.«
»Was genau ist der Energiekörper?«
»Er ist das Gegenstück zum physischen Körper. Eine geisterhafte Konfiguration, bestehend aus reiner Energie.«
»Besteht aber nicht auch der physische Körper aus Energie?«
»Ja, gewiß. Der Unterschied ist, daß der Energiekörper nur Erscheinung hat, aber keine Masse. Da er reine Energie ist, kann er Taten vollbringen, die dem physischen Körper unmöglich wären.«

Fliessende Energie wahrnehmen

»Weil Energie seine Sphäre ist, kann der Energiekörper mühelos jene im Universum fließenden Energieströme nutzen, um sich vorantreiben zu lassen. Er braucht sie nur zu isolieren - und los geht die Fahrt.«

Don Juan hielt unentschlossen inne. Mir schien, er wollte noch etwas sagen, dessen er sich aber nicht sicher war. Er lächelte mir zu, und gerade als ich ihm eine Frage stellen wollte, fuhr er fort mit seiner Erklärung.

»Ich sagte dir früher schon, daß die Zauberer in ihren Träumen Scouts aus anderen Sphären isolieren. Das tut ihr Energiekörper. Er erkennt die Energie und folgt ihr. Es ist aber nicht gut, wenn ein Träumer sich an die Suche nach solchen Scouts verliert. Ich zögerte, dir davon zu erzählen, weil man sich bei einer solchen Suche leicht verirren kann.«

Dann wechselte Don Juan rasch das Thema. Ausführlich schilderte er mir einen ganzen Block von Übungen. Damals fand ich dies alles, auf einer gewissen Ebene, völlig unbegreiflich; doch auf einer anderen Ebene erschien es mir vollkommen logisch und verständlich. Wenn man, so wiederholte er, mit überlegter Kontrolle die erste Pforte des Träumens erreicht habe, so habe man seinen Energiekörper erreicht. Ob man diesen Vorteil festhalten könne, sei nur eine Frage der Energie. Die Zauberer aber könnten sich zusätzliche Energie verschaffen, indem sie die Energie klug einsetzen, die ihnen für die Wahrnehmung der alltäglichen Welt zur Verfügung steht.

 

***

 

Und das Träumen ist die Kunst, den Energiekörper zu schulen, ihn durch allmähliche Übung geschmeidig und kohärent zu machen. Durch das Träumen verdichten wir den Energiekörper, bis er zu eigener Wahrnehmung fähig wird. Diese Wahrnehmung, obwohl beeinflußt durch unsere normale Art der alltäglichen Wahrnehmung, ist dennoch eine ganz unabhängige Wahrnehmung. Sie hat ihre eigene Sphäre.«

»Was ist ihre Sphäre, Don Juan?«

»Energie. Der Energiekörper arbeitet mit Energie als Energie. Auf dreierlei Arten arbeitet er beim Träumen mit Energie: er kann die fließende Energie wahrnehmen; er kann Energie benutzen, um sich wie eine Rakete in unerwartete Regionen zu katapultieren; oder er kann wahrnehmen, wie wir für gewöhnlich die Welt wahrnehmen.«

»Was bedeutet es, fließende Energie wahrzunehmen?«

»Es bedeutet, zu sehen. Es bedeutet, daß der Energiekörper Energie unmittelbar als Licht oder als vibrierenden Strom oder als Turbulenz sieht, Und er spürt sie » als unmittelbaren Stromstoß oder als körperliche Empfindung, die sogar schmerzhaft sein.«

Eigendünkel

Und der wichtigste Kunstgriff der Zauberei sei das »Verlieren der eigenen Wichtigkeit«. Don Juan sah darin die wichtigste Voraussetzung der Zauberei, und folglich hielt er alle seine Schüler streng dazu an, diese Voraussetzung zu erfüllen. Eigendünkel hielt er nicht nur für einen Feind der Zauberer, sondern für die Nemesis der Menschheit überhaupt.

Don Juan glaubte nämlich, daß wir den größten Teil unserer Energie zur Aufrechterhaltung unserer eigenen Wichtigkeit verbrauchen. Das beste Beispiel sei unsere endlose Sorge um unser äußeres Image und um die Frage, ob wir geliebt und bewundert werden oder nicht. Könnten wir diesen Eigendünkel ablegen, dann würden zwei bedeutsame Dinge mit uns geschehen. Erstens wäre unsere Energie von der Aufgabe befreit, unsere Größen-Illusionen aufrechtzuerhalten. Und zweitens hätten wir genügend Energie, um in die zweite Aufmerksamkeit einzutreten und etwas von der wahren Größe des Universums zu erahnen. Mehr als zwei Jahre dauerte es, bis ich meine Aufmerksamkeit im Traum auf alles konzentrieren konnte. Am Ende gelang es mir so gut, als hätte ich mein-Leben lang nichts anderes getan.

 

Träume Untersuchen

Merkwürdig war, daß ich mir kaum vorstellen konnte, ich hätte diese Fähigkeit nicht schon immer gehabt. Dennoch hatte ich nicht vergessen, wie schwer es mir anfangs gefallen war, mir solche Möglichkeiten auch nur vorzustellen. Vielleicht, dachte ich, gehört die Fähigkeit, den Inhalt der eigenen Träume zu untersuchen, zur natürlichen Ausstattung unserer Existenz - etwa wie der aufrechte Gang. Wir sind körperlich dazu geschaffen, auf zwei Beinen zu laufen. Und dennoch, welche Anstrengung braucht ein Kind, um laufen zu lernen!
Meine neue Fähigkeit, mit kurzen Blicken die Gegenstände meiner Träume zu betrachten, war aber mit einem unangenehmen Phänomen verbunden: mit einer dauernd nörgelnden Stimme, die mich ermahnte, auch wirklich alle Elemente meiner Träume zu untersuchen. Ich kannte meinen obsessiven Charakter, aber in meinen Träumen wurde diese Obsession ungemein verstärkt. Dies nahm solche Formen an, daß ich meine nörgelnde Stimme, die mich dauernd kritisierte, nicht mehr hören konnte. Und ich mußte mich fragen, ob nicht am Ende doch etwas anderes dahinter steckte? Ich fürchtete sogar, den Verstand zu verlieren.

 

 

 

Wenn dich eine stimme beim Träumen nervt

»Hört es sich vielleicht an, als ob du es gar nicht wärest, sondern ein anderer?« fragte er.

»Ja, wenn ich es recht bedenke. Es hört sich so an, als ob gar nicht ich es wäre.«

»Dann bist du es auch nicht. Die Zeit ist noch nicht gekommen, dir solche Dinge zu erklären. Einstweilen tröste dich, daß du nicht allein bist auf der Welt. Es gibt noch andere Welten, die einem Träumer zugänglich sind, ganze Welten. Aus diesen anderen Welten kommen manchmal Energie-Wesen zu uns. Wenn du das nächste Mal im Traum deine Stimme hörst, die auf dich einredet, dann werde einfach wütend und rufe: Hör auf!«

Nun hatte ich eine neue Aufgabe beim Träumen, nämlich mich zu erinnern, daß ich diesen Befehl rufen sollte. Wahrscheinlich aber war ich so wütend über das dauernde Nörgeln, daß ich mich tatsächlich erinnerte und rief: »Hör auf!« Das Nörgeln hörte sofort auf und wiederholte sich nie wieder.

 

 

Die zweite Pforte

»Du hast die zweite Pforte des Träumens erreicht«, sagte Don Juan, als ich ihm meinen Traum erzählte. »Als nächstes solltest du sie durchschreiten. Es ist aber gefährlich, die zweite Pforte zu durchschreiten, und es erfordert viel Disziplin.«

Ich wußte nicht, ob ich die mir gestellte Aufgabe erfüllt hatte. Denn eigentlich war ich nicht in einem anderen Traum erwacht. Also befragte ich Don Juan nach dieser Unregelmäßigkeit.

»Es war mein Fehler«, sagte er. »Ich hatte dir gesagt, daß man in einem anderen Traum erwachen muß; aber ich meinte nur, daß man auf ordentliche, korrekte Art die Traume wechseln muß, wie du es getan hast.

Bei der ersten Pforte hast du viel Zeit damit vergeudet, ausschließlich nach deinen Händen zu suchen. Diesmal bist du direkt zur Lösung vorgestoßen, ohne dich lange zu fragen, ob du die Anweisung befolgtest und auch wirklich in einem anderen Traum erwachtest.« Zwei Möglichkeiten gebe es, sagte Don Juan, um die zweite Pforte des Träumens korrekt zu passieren. Einerseits könne man in einem anderen Traum erwachen » das heißt träumen, man sei in einem Traum, und dann träumen, daß man aus ihm erwacht, Andererseits könne man mit Hilfe der Gegenstände eines Traumes einen anderen Traum auslösen, wie ich es getan hätte.

 

 

 

 

Anorganische Wesen

 

»Du bist jetzt zu einem gefährlichen Teil im Wissen der Zauberer gelangt«, erklärte er, »Es ist das nackte Grauen, ein Alptraum. Ich könnte Witze machen und sagen, daß ich diese Möglichkeit mit Rücksicht auf deine hochgelehrte Vernunft nicht erwähnen wollte. Aber solche Scherze verbieten sich von selbst. Jeder Zauberer muß sich mit diesem Aspekt des Wissens auseinandersetzen. Und dabei könntest du, fürchte ich, leicht das Gefühl haben, den Verstand zu verlieren.«

Und nun setzte mir Don Juan in sehr ernstem Ton auseinander, daß Leben und Bewußtsein nicht einfach Eigenschaften der Organismen sind, sondern eine Frage der Energie. Die Zauberer hätten gesehen, sagte er, daß es zwei Arten von bewußten Wesen auf Erden gibt, die organischen und die anorganischen. Und als sie die beiden miteinander verglichen, hätten sie auch gesehen, daß es sich bei beiden um leuchtende Ansammlungen von Energiefasern des Universums handelt, die sich millionenfach in jedem nur denkbaren Winkel überschneiden. Demnach unterscheiden sich beide Formen vor allem in ihrer Gestalt und im Grad ihrer Leuchtkraft. Anorganische Wesen sind länglich, wie Kerzen geformt, aber dunkel, während die organischen Wesen rund und wesentlich heller sind. Ein weiterer wichtiger Unterschied, den die Zauberer sahen, wie Don Juan sagte, liege darin, daß die organischen Wesen nur ein kurzes Leben und Bewußtsein hätten, während das Leben der anorganischen Wesen unendlich viel länger dauert und ihr Bewußtsein unendlich viel tiefer und ruhiger ist.

 

 

 

 

Wie begegnet man einem Anorganischem Wesen ?

 

Das Problem bei den anorganischen Wesen ist nur, daß ihr Bewußtsein, verglichen mit unserem, sehr langsam ist. Es dauert Jahre, bis die anorganischen Wesen auf einen Zauberer aufmerksam werden. Also sollte man Geduld haben und warten. Früher oder später stellen sie sich ein. Aber anders, als du oder ich uns einstellen würden. Sie haben eine eigentumliche Art, sich bemerkbar zu machen.«
»Wie locken die Zauberer sie an? Gibt es ein Ritual?«
»Na, sie werden sich gewiß nicht auf die Straße stellen und, Schlag Mitternacht, mit bebender Stimme nach ihnen rufen - falls es das ist, was du meinst.«
»Was tun sie denn?«
»Sie locken sie im Träumen an. Ich sagte dir doch, es geht um mehr als ein bloßes Anlocken; durch das Träumen zwingen die Zauberer diese Wesen, mit ihnen in Interaktion zu treten.«

 

 

Wenn wir anorganische Wesen treffen

 

Um aber die gewünschten Resultate zu erzielen, mußt du deine Übungen um die Absicht ergänzen, diese anorganischen Wesen zu erreichen. Sende ihnen ein Gefühl von Kraft und Zuversicht, Stärke und Unabhängigkeit. Vermeide um jeden Preis, ihnen ängstliche und morbide Gefühle zu senden. Sie sind selbst ziemlich morbid; ihrer Düsterheit noch die unsere aufzuladen wäre doch unnötig, nicht wahr?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, Don Juan, wie sie den Zauberern erscheinen. Auf welche eigentümliche Art machen sie sich bemerkbar?«
»Manchmal materialisieren sie sich, direkt vor uns, in der Alltagswelt. Meist aber macht sich ihre Anwesenheit durch ein körperliches Erschrecken bemerkbar, durch einen Schauder, der uns durch Mark und Bein fährt.«
»Wie ist es beim Träumen, Don Juan?«
»Beim Träumen ist es genau umgekehrt. Manchmal fühlen wir sie, wie du eben jetzt, als Anfall von Angst. Meistens materialisieren sie sich direkt vor uns. Weil wir, wenn wir mit dem 
Träumen anfangen, keinerlei Trfahrung mit ihnen haben, können sie uns einen heillosen Schrecken einjagen. Dies Ist eine Gefahr für uns. Mittels dieser Angst können sie uns in den Alltag folgen - mit verheerenden Folgen für uns.«

»Folgen welcher Art, Don Juan?«

»Die Angst kann sich in unserem Leben einnisten, und auf so etwas dürfen wir uns nicht einlassen. Die anorganischen Wesen sind manchmal schlimmer als die Pest. Mittels der Angst können sie uns in den Wahnsinn treiben.«

»Was tun die Zauberer mit den anorganischen Wesen?«

»Sie verbinden sich mit ihnen. Sie machen sie zu Verbündeten. Sie bilden Vereinigungen, gehen ungewöhnliche Freundschaften ein. Es sind weitgespannte Bestrebungen, meine ich, wobei die Wahrnehmung die wichtigste Rolle spielt. Wir sind gesellige Wesen. Wir suchen stets die Gesellschaft anderer Arten von Bewußtsein.

Das Entscheidende beim Kontakt mit den anorganischen Wesen ist, sie nicht zu fürchten. Und zwar von Anfang an. Man muß ihnen eine Absicht von Kraft und Unabhängigkeit schicken. In diese Absicht muß man die Botschaft verschlüsseln: »Ich fürchte dich nicht; komm zu mir. Falls du kommst, bist du mir willkommen, Falls nicht, werde ich dich vermissen.« Solch eine Botschaft wird sie so neugierig machen, daß sie sich bestimmt einstellen.
»Warum sollten sie zu mir kommen, oder warum sollte ich sie aufsuchen, um Himmels willen?«

»Beim Träumen suchen die Träumer, ob sie es wollen oder nicht, Verbindung mit anderen Wesen. Vielleicht erschreckt es dich - aber die Träumer sind immer bereit, Gruppen mit anderen Wesen zu bilden, sich auch mit anorganischen Wesen zu verbinden. Die Träumer sind geradezu erpicht darauf.«

»Das finde ich eigenartig, Don Juan. Warum tun die Träumer so etwas?«

»Die anorganischen Wesen haben für uns den Reiz des Neuen. Und für sie liegt der Reiz des Neuen in der Art, wie wir die Grenzen ihrer Sphäre überschreiten. Vergiß nicht: die anorganischen Wesen, mit ihrem anders gearteten Bewußtsein, üben einen ungeheuren Sog auf Träumer aus und können sie leicht in ungeahnte Welten versetzen.

Die Zauberer der Vorzeit bedienten sich ihrer, und sie waren es auch, die den Namen >Verbündete« prägten. Ihre Verbündeten lehrten sie, den Montagepunkt über die Grenzen der Eigestalt hinaus in das nicht-menschliche Universum zu verschieben. Wenn sie also einen Zauberer in andere Welten versetzen, dann sind dies Welten jenseits des menschlichen Bereichs.«

Noch während ich ihm zuhörte, plagten mich sonderbare Befürchtungen und Ahnungen, was er sofort merkte,

»Du bist letzten Endes ein religiöser Mensch«, sagte‘ er. »Jetzt glaubst du den Atem des Teufels im Nacken zu spüren. Stell dir das Träumen doch folgendermaßen vor: Träumen heißt, mehr wahrzunehmen, als wir für möglich halten.«

***

 

Stets erwachte ich aus einem solchen Traum, immer noch wirbelnd, und wälzte und rollte mich noch längere Zeit herum, bis ich vollends erwachte.
»Das sind unschuldige Begegnungen, die du mit deinen - Freunden unter den anorganischen Wesen hast«, sagte Don Juan.
Ich wollte ihm nicht widersprechen, wollte ihm aber auch nicht beipflichten. So schwieg ich. Meine Frage nach den alten Zauberern hatte ich vergessen, aber Don Juan kam wieder auf das Thema zurück.

»Ich bin überzeugt, daß die alten Zauberer schon vor etwa zehntausend Jahren lebten«, sagte er lächelnd und meine Reaktion beobachtend.

Gestützt auf die neuesten archäologischen Befunde über die Wanderungen asiatischer Nomadenstämme nach Amerika, bezweifelte ich die Richtigkeit dieses Datums. Zehntausend Jahre, das sei viel zu früh angesetzt.

»Du hast dein Wissen, und ich habe meines«, sagte er. »Mein Wissen besagt, daß die alten Zauberer viertausend Jahre lang herrschten, von vor siebentausend bis vor dreitausend Jahren. Vor dreitausend Jahren verschwanden sie von der Erde. Seither haben die Zauberer umgruppiert - und wieder aufgebaut, was die alten
Zauberer hinterlassen hatten.«
»Wie kannst du dir deiner Zeitangaben so sicher sein?« fragte ich. »Wie kannst du dir der deinen so sicher sein?« erwiderte er.

Der Traumbotschafter

Die Tatsache, daß ich dieses unglaubliche Phänomen ganz allein entdeckt hatte, ohne Don Juans Anleitung, machte mich beinah euphorisch. Ich brauchte mehr Informationen über den Botschafter. So wollte ich Don Juan fragen, ob auch er die Stimme des Botschafters gehört hätte. Er unterbrach mich und sagte mit breitem Grinsen: »Ja, ja. Der Botschafter spricht auch zu mir. In meiner Jugend sah ich ihn immer als Mönch mit schwarzer Kutte. Ein schwatzender Mönch, der mir jedesmal höllische Angst machte. Dann, als ich besser mit meiner Angst umgehen konnte, wurde er zur körperlosen Stimme, die mir bis heute Dinge verrät.«

»Was für Dinge, Don Juan?«

»Alles, worauf ich meine Absicht richte. Lauter Dinge, die herauszufinden ich zu faul bin. Zum Beispiel, was meine Schüler so treiben, wenn ich nicht da bin. Vor allem über dich erzählt er mir gewisse Dinge. Der Botschafter verrät mir alles, was du tust.«

Mir war es inzwischen egal, welche Richtung unser Gespräch genommen hatte. Während er sich vor Lachen krümmte, kreisten meine Gedanken krampfhaft um andere Themen, zu denen ich ihm Fragen stellen wollte.

»Ist der Traumbotschafter ein anorganisches Wesen?« fragte ich.

»Sagen wir, der Traumbotschafter ist eine Kraft, die aus dem Reich der anorganischen Wesen kommt. Das ist der Grund, warum die Träumer ihm immer begegnen.«

 

 

Die Kunst des Pirschens oder das Fixieren des Montagepunkt

Die Kunst des Pirschens hingegen definierte er als die Kunst, den Montagepunkt an der Stelle zu fixieren, an die er
sich verschoben hat. »Den Montagepunkt an einer neuen Stelle zu fixieren bedeutet,
Kohäsion oder Zusammenhalt zu gewinnen«, sagte er. »Genau dies tust du bei deinen Traumübungen.«

»Ich dachte, ich sollte meinen Energiekörper schulen«, sagte ich, leicht erstaunt über seine Worte.

»Ja, das tust du. Aber noch viel mehr. Du lernst dabei, Kohäsion zu gewinnen. Dies gelingt beim Träumen, denn der Träumer muß lernen, seinen Montagepunkt zu fixieren. Die Traum- Aufmerksamkeit, der Energiekörper, die zweite Aufmerksamkeit, die Beziehung zu anorganischen Wesens, der Traumbotschafter - all dies sind nur Nebenprodukte beim Erwerb von Kohäsion. Mit anderen Worten, sie alle sind Nebenprodukte der Fixierung des Montagepunktes auf eine Reihe von Traumpositionen.«

»Was ist eine Traumposition, Don Juan?«

»Eine neue Position, in die sich der Montagepunkt im Schlaf verschoben hat.«

»Wie fixieren wir den Montagepunkt in einer Traumposition?«

»Indem wir den Anblick irgendeines Gegenstandes in einem Traum festhalten, oder indem wir bewußt die Träume wechseln.«

Bei deinen Traumübungen übst du in Wirklichkeit deinen 
Zusammenhalt ein; das heißt, du übst deine Fähigkeit, neue Energiegestalten beizubehalten, indem du den Montagepunkt in der Position eines bestimmten Traums fixierst, den du gerade träumst.«

»Kann ich wirklich eine neue Energiegestalt beibehalten?«

»Nicht eigentlich; und nicht deshalb, weil du’s nicht tun könntest, sondern nur, weil du den Montagepunkt verlagerst, statt ihn zu bewegen. Verlagerungen des Montagepunkts bewirken winzige Veränderungen, die praktisch unbemerkt bleiben. Die Herausforderung bei den Verlagerungen besteht darin, daß sie so klein und so zahlreich sind, daß es schon ein Triumph ist, bei alledem den Zusammenhalt zu wahren.«

»Wie erkennen wir, daß wir unseren Zusammenhalt wahren?«

»Wir erkennen es an der Klarheit unserer Wahrnehmungen. Je klarer der Anblick unserer Träume, desto größer ist unser Zusammenhalt.«

Und dann sagte er mir, es sei an der Zeit, daß ich eine praktische Anwendung fände für das, was ich beim Träumen gelernt hätte. Ohne mir die Chance zu weiteren Fragen zu lassen, forderte er mich auf, meine Aufmerksamkeit - ganz wie im Traum - auf das Laub eines Baumes zu konzentrieren, der nicht weit von uns in der Wüste stand, eines Mesquitestrauches.

»Soll ich ihn anstarren?« fragte ich.

»Du sollst ihn nicht einfach anstarren; du sollst etwas ganz Besonderes mit seinem Laub machen«, sagte er. »Erinnere dich

daran, daß du in deinen Träumen, sobald du den Anblick eines Gegenstands festhalten kannst, in Wirklichkeit die Traumposition deines Montagepunktes beibehältst. Starre jetzt also auf dieses Laub, als ob du im Traum wärst, aber mit einer leichten, wenn auch wichtigen Abwandlung: du sollst deine Traum- Aufmerksamkeit auf die Blätter des Mesquitestrauchs richten, und zwar in deinem alltäglichen Bewußtseinszustand.«

Ich war zu nervös, um ihm zu folgen. Geduldig erklärte er mir noch einmal, daß ich, indem ich das Laub anstarrte, eine winzige Verschiebung meines Montagepunktes erzielen würde. Und dann würde ich, indem ich beim Anstarren einzelner Blätter meine Traum-Aufmerksamkeit aktivierte, tatsächlich diese winzige Verschiebung fixieren; und meine Kohäsion würde mir erlauben, mit Hilfe der zweiten Aufmerksamkeit wahrzunehmen. Lachend meinte er noch, die Sache sei so kinderleicht, daß sich Erklärungen erübrigten.

Nun ja, Don Juan hatte recht. Ich brauchte nur meinen Blick auf das Laub zu richten, ihn dort zu halten - und schon wurde ich in ein wirbelndes Gefühl hineingerissen, ganz ähnlich wie die Wirbel in meinen Träumen. Das Laub des Mesquitestrauchs wurde zu einem ganzen Universum von Sinnesdaten. Es war, als hätte das Laub mich verschluckt, aber nicht nur mein Blick war daran beteiligt. Wenn ich die Blätter berührte, spürte ich sie tatsächlich. Ich roch sie auch. Meine Traum-Aufmerksamkeit war multisensorisch, nicht nur visuell, wie in meinen normalen Träumen.

 

 

 

Die Welt der Anorganischen Wesen

So brauchte ich nur einige Sitzungen, um zu entdecken, daß Don Juans - wie ich meinte - beiläufige Empfehlung, nämlich mein Urteil hintanzustellen und die organischen Wesen zu mir kommen zu lassen, tatsächlich genau das Verfahren war, das die Zauberer der Vorzeit angewandt hatten, um sie anzulocken. Indem Don Juan mich dies selbst herausfinden ließ, befolgte er lediglich die Grundsätze seiner Schulung als Zauberer. Er hatte immer wieder gesagt, daß wir unser Selbst nur sehr schwer dazu bringen können, seine sichere Festung zu verlassen - und nur durch Übung. Eines der stärksten Bollwerke unseres Selbst sei die Rationalität. Und diese sei nicht nur die verläßlichste Abwehr gegen die Taten der Zauberer und deren Erklärung, sondern auch eine der bedrohtesten. Don Juan glaubte, daß die Existenz anorganischer Wesen ein frontaler Angriff auf unsere Ratio sei.

Bei meinen Traumübungen hatte ich ein bewährtes Verfahren entwickelt, das ich jeden Tag ausnahmslos befolgte. Ich nahm mir vor, zuerst jeden nur denkbaren Gegenstand meiner Träume zu beobachten und dann in andere Träume zu wechseln. Ich darf 
aufrichtig sagen, daß ich in unzähligen Träumen ganze Welten kleinster Details beobachtete. Natürlich begann meine TraumAufmerksanikeit irgendwann zu erlahmen, und meine Traumübungen endeten entweder damit, daß ich einschlief und normale Träume hatte, bei denen sich keine Traum- Aufmerksamkeit einstellte, oder indem ich aufwachte und überhaupt nicht mehr schlafen konnte. Von Zeit zu Zeit aber, und genau wie Don Juan es geschildert hatte, drang eine Strömung fremder Energie - ein Scout, wie er es nannte - in meine Träume ein. Daß ich vorgewarnt war, half mir, meine TraumAufmerksamkeit darauf einzustellen und auf der Hut zu sein. 

 

 

 

Einen Scout isolieren

 

»Ich führe eine objektive Untersuchung über die anorganischen Wesen durch.«
»Du bindest mir einen Bären auf, nicht wahr? Ich dachte, du bist unbeirrbar der Meinung, daß es keine anorganischen Wesen gibt?«
Sein spöttischer Ton und sein hämisches Lachen verrieten mir,
was er von meiner objektiven Untersuchung hielt.
»Ich habe meine Meinung geändert, Don Juan. Jetzt möchte ich all diese Möglichkeiten erforschen.« |

»Vergiß nicht, daß die Sphäre der anorganischen Wesen das Betätigungsfeld der alten Zauberer war. Um dorthin zu gelangen, fixierten sie ihre Traum-Aufmerksamkeit hartnäckig auf die Gegenstände ihrer Träume. Auf diese Weise gelang es ihnen, die Scouts zu isolieren. Und wenn sie die Scouts im Blickpunkt hatten, riefen sie laut ihre Absicht, ihnen zu folgen. Kaum hatten die alten Zauberer diese Absicht geäußert, da flogen sie auch schon davon - angezogen von jener fremden Energie.«

»Ist es so einfach, Don Juan?«

Er antwortete nicht. Er lachte mich nur an, als wollte er mich herausfordern, es zu versuchen.
Wieder zu Hause, fragte ich mich bis zum Überdruß, was Don Juan mit dieser Andeutung gemeint haben mochte. Daß er mir tatsächlich ein praktisches Verfahren empfohlen haben könnte, zog ich gar nicht in Betracht. Aber eines Tages, als meine Geduld und auch meine Ideen zu Ende waren, gab ich alle Vorsicht auf. In einem Traum, den ich dann träumte, sah ich verblüfft einen Fisch, 
der plötzlich aus einem Teich sprang, an dem ich vorbeiging. Der Fisch zappelte vor meinen Füßen - dann flog er davon, wie ein bunter Vogel, und landete, immer noch als Fisch, auf einem Ast. Das Schauspiel war so ungewöhnlich, daß meine TraumAufmerksamkeit stimuliert wurde. Sofort wußte ich, es war ein Scout. Im nächsten Moment, als der Fisch-Vogel sich in einen Lichtpunkt verwandelte, rief ich mit lauter Stimme meine Absicht, ihm zu folgen, und genau wie Don Juan gesagt hatte, flog ich los in eine andere Welt.

Zuerst flog ich durch einen scheinbar dunklen Tunnel, als sei ich ein gewichtloses Fluginsekt. Plötzlich endete das Gefühl, in einem Tunnel zu sein. Es war geradezu, als sei ich von einem Rohr ausgespien und mit Schwung vor eine ungeheure physische Masse gespült worden. Fast konnte ich sie berühren. Ihr Ende war nicht abzusehen, in welche Richtung ich mich auch wandte. Das Ganze erinnerte mich sehr an gewisse Science-Fiction-Filme, und ich war überzeugt, daß ich das Bild dieser Masse selbst konstruierte, ähnlich wie man einen Traum konstruiert. Und warum nicht? Immerhin, so dachte ich, lag ich doch schlafend im Bett und träumte.

Ich beruhigte mich also und beobachtete die Einzelheiten _ meines Traumes. Was ich erblickte, sah aus wie ein riesiger = Schwamm. Es war porös und löcherig. Ich konnte die Struktur dieser Masse nicht befühlen, aber sie wirkte rauh und faserig und war von dunkel-bräunlicher Farbe. Dann überfielen mich Zweifel, 
ob diese stumme Masse nicht mehr war als nur ein Traum. Das Ding vor mir veränderte nicht seine Gestalt. Es bewegte sich auch nicht. Und als ich es fest anschaute, hatte ich den Eindruck von etwas Realem, aber Statischem; es war irgendwo verwurzelt, und es übte eine so mächtige Anziehung aus, daß ich meine TraumAufmerksamkeit nicht davon abziehen konnte, um andere Dinge zu untersuchen, nicht mal mich selbst. Eine sonderbare Kraft, der ich nie zuvor bei meinem Träumen begegnet war, hielt mich wie festgenagelt an der Stelle.

Dann spürte ich plötzlich, wie diese Masse meine TraumAufmerksamkeit losließ; all mein Bewußtsein konzentrierte sich auf den Scout, der mich dorthin geführt hatte. Jetzt sah er aus wie ein Glühwürmchen in der Dunkelheit, über mir und neben mir schwebend. In seiner Sphäre war er ein Tropfen reiner Energie. Auch konnte ich seine energetische Vibration sehen. Er schien sich meiner Anwesenheit bewußt. Plötzlich taumelte er mir entgegen, zupfte an mir oder stieß mich an. Ich empfand es nicht als Berührung, und doch wußte ich, daß der Scout mich berührt hatte. Diese Empfindung war erschreckend und neu. Es war, als sei ein Teil von mir, der gar nicht vorhanden war, durch diese Berührung elektrisiert worden; Wellen von Energie brandeten durch diesen nicht vorhandenen Teil hindurch.

Von diesem Augenblick an wurde alles beim Träumen viel realer. Es fiel mir schwer, an dem Gedanken festzuhalten, daß ich
einen Traum träumte. Hinzu kam meine Gewißheit, daß der Scout 
durch seine Berührung eine Verbindung mit mir hergestellt hatte. Im gleichen Moment, als er mich zu berühren oder anzustoßen schien, wußte ich, was er von mir wollte.

Zunächst schob er mich durch eine riesige Höhle oder Öffnung in die physische Masse hinein, vor der ich gestanden hatte. Im Innern dieser Masse angelangt, erkannte ich, daß sie hier innen ebenso gleichmäßig porös war wie außen, aber viel glatter wirkte, als sei die rauhe Oberfläche mit Sandpapier abgeschliffen. Was ich vor mir sah, war eine Struktur, die etwa wie das vergrößerte Bild eines Bienenstocks aussah. Unzählige, geometrisch geformte Tunnel zweigten in alle Richtungen ab. Manche führten hinauf oder hinunter, nach links oder nach rechts; sie überkreuzten sich oder führten in steilem oder flachem Winkel hinauf oder hinunter.

Das Licht war sehr trübe, aber alles war gut sichtbar. Die Tunnel schienen lebendig zu sein und Bewußtsein zu haben. Sie zischten. Ich starrte sie an, und nun überfiel mich die Erkenntnis, daß ich sah. Dies waren Tunnel von Energie. Im Augenblick dieser Einsicht dröhnte die Stimme des Traumbotschafters in meinen Ohren - so laut, daß ich nicht verstehen konnte, was sie sagte.

»Sprich leiser«, schrie ich mit höchster Ungeduld und merkte, daß ich, wenn ich sprach, mein Bild dieser Tunnel ausblendete und in ein Vakuum fiel, wo ich nur noch hören konnte.

 

Der Botschafter dämpfte seine Stimme und sagte: »Du bist im Innern eines anorganischen Wesens. Wähle einen der Tunnel, und du kannst darin leben.« Die Stimme machte eine Pause, dann fügte sie hinzu: »Das heißt, falls du es willst.«
Ich konnte mich nicht überwinden, etwas zu sagen. Ich fürchtete, jede Aussage von mir könnte ins Gegenteil dessen verdreht werden, was ich meinte.

»Die Vorteile für dich sind unermeßlich«, fuhr die Stimme des Botschafters fort. »Du kannst in so vielen Tunneln leben, wie du nur willst. Und jeder wird dich etwas anderes lehren. So lebten die Zauberer der Vorzeit, und sie lernten wunderbare Dinge.«

Ich merkte, ohne jedes Gefühl, daß der Scout mich von hinten schob. Anscheinend wollte er, daß ich vorwärtsging. Ich wählte den Tunnel gleich rechts von mir. Kaum war ich darin, merkte ich irgendwie, daß ich in dem Tunnel nicht ging; ich schwebte in ihm, ich flog. Ich war ein Tropfen Energie, nicht anders als der Scout.
Wieder tönte die Stimme des Botschafters in meinen Ohren: »Ja, du bist nur ein Tropfen Energie«, sagte sie. Ihre Wiederholungen erleichterten mich sehr. »Und du schwebst im Innern eines anorganischen Wesens«, fuhr er fort. »Auf diese Weise, so will es der Scout, sollst du dich in dieser Welt bewegen. Als er dich berührte, hat er dich für immer verändert. Jetzt bist du praktisch einer von uns. Falls du hierbleiben willst, brauchst du nur deine Absicht auszusprechen.«

Der Botschafter hörte auf zu sprechen, und das Bild des Tunnels kehrte mir zurück. Als er wieder zu sprechen anfing, hatte sich etwas reguliert: ich verlor diese Welt nicht mehr aus dem Blick und konnte dennoch die Stimme des Botschafters hören. »Die alten Zauberer lernten alles, was sie vom Träumen wußten, indem sie hier bei uns blieben«, sagte sie.

Ich wollte fragen, ob diese Zauberer all ihr Wissen gelernt hätten, indem sie einfach in diesen Tunneln lebten; aber bevor ich meine Frage aussprechen konnte, beantwortete sie der Botschafter.

»Ja, sie lernten alles, nur indem im Innern der anorganischen Wesen lebten«, antwortete er. Um hier drinnen zu leben, brauchten die alten Zauberer nur zu sagen, daß sie dies wollten; ähnlich wie du, um hierher zu gelangen, nur laut und deutlich deine Absicht auszusprechen brauchtest.«

Der Scout stieß mich an, zum Zeichen, daß ich mich weiterbewegen sollte. Ich zögerte, und nun tat er etwas, das sich anfühlte, als stieße er mich mit solcher Kraft voran, daß ich wie ein Geschoß durch endlose Tunnel flog. Endlich blieb ich stehen, weil der Scout stehenblieb. So schwebten wir einen Moment, dann stürzten wir in einen vertikalen Tunnel. Ich spürte den plötzlichen Richtungswechsel nicht. Was meine Wahrnehmung betraf, so bewegte ich mich noch immer scheinbar parallel zum Boden.Wir wechselten mehrmals die Richtung, stets mit dem gleichen Wahrnehmungs-Effekt auf mich. In mir bildete sich ein Gedanke 
über meine Unfähigkeit, zu spüren, ob ich mich aufwärts oder abwärts bewegte, als ich auch schon die Stimme des Botschafters hörte: »Ich glaube, es ist angenehmer für dich, wenn du kriechst, statt zu fliegen«, sagte sie. »Du kannst dich auch wie eine Spinne oder eine Fliege bewegen, senkrecht auf oder ab, oder auch mit dem Kopf nach unten.« |

Sofort sank ich nieder. Es war, als sei ich schwerelos gewesen und hätte nun plötzlich Gewicht, das mich hinunterzog. Die Wände des Tunnels fühlte ich nicht, doch der Botschafter hatte recht gehabt, daß es mir angenehmer war, wenn ich kroch.

»In dieser Welt brauchst du dich nicht von der Schwerkraft niederdrücken zu lassen«, sagte er. Dies konnte ich natürlich selbst feststellen. »Du brauchst auch nicht zu atmen«, fuhr die Stimme fort. »Und ganz nach Belieben kannst du deinen Gesichtssinn behalten und sehen, wie du in deiner Welt zu sehen gewöhnt bist.« Der Botschafter schien zu überlegen, ob er noch eiwas hinzufügen sollte. Er hüstelte wie jemand, der sich räuspert, und sagte: »Der Gesichtssinn wird nie beeinträchtigt. Darum spricht ein Träumer über sein Träumen immer in Form von Bildern, die er sieht.«

Der Scout schob mich in einen Tunnel zur Rechten. Dieser war etwas dunkler als die anderen. Auf mich wirkte er auf groteske Art gemütlicher als die anderen, freundlicher, oder sogar mir bekannt. Mir kam der Gedanke in den Sinn, ich sei diesem Tunnel ähnlich, oder der Tunnel mir.

 

 

»Ihr beide seid euch schon begegnet«, sagte die Stimme des Botschafters.
»Wie bitte?« sagte ich. Wohl hatte ich verstanden, was er sagte, aber die Aussage war unbegreiflich.
»Ihr beide habt miteinander gerungen, und deshalb tragt ihr nur einer des anderen Energie.« Mir kam es vor, als verrate die
Stimme des Botschafters eine Spur von Bosheit oder sogar Sarkasmus. |
»Nein, es ist nicht Sarkasmus«, sagte der Botschafter. »Ich freue mich, daß du Verwandte hast, hier bei uns.«
»Was verstehst du unter Verwandten?« fragte ich.
»Gemeinsame Energie schafft Verwandtschaft«, antwortete er. »Energie ist wie Blut.«
Ich wußte nichts mehr zu sagen. Deutlich spürte ich meine steigende Angst.
»Angst ist etwas, das es in dieser Welt nicht gibt«, sagte der Botschafter. Und dies war die einzige seiner Aussagen, die nicht richtig war. Damit endete mein Träumen. Ich war so erschrocken über die Lebhaftigkeit all dessen, über die eindrucksvolle Klarheit und Folgerichtigkeit der Aussagen des Botschafters, daß ich es kaum erwarten konnte, Don Juan davon zu erzählen. Wie überrascht und verstört war ich, als er sich meinen Bericht nicht anhören wollte. Er sagte es nicht direkt, aber ich hatte das Gefühl, daß er wohl annahm, all dies sei nur Produkt meines Mich-Gehenlassens.

 

»Warum verhältst du dich so zu mir?« fragte ich. »Bist du unzufrieden mit mir?«

»Nein, ich bin gar nicht unzufrieden mit dir«, sagte er. »Das Problem ist nur, ich kann über diesen Aspekt deines Träumens nicht sprechen. In diesem Fall bist du ganz auf dich selbst gestellt. Ich sagte dir doch, daß die anorganischen Wesen real sind. Du wirst noch herausfinden, wie real sie sind. Aber was du aus dieser Feststellung machst, ist allein deine Sache. Eines Tages wirst du den Grund einsehen, warum ich mich heraushalten muß.«

»Aber, kannst du mir denn überhaupt nichts zu diesem Traum sagen?« beharrte ich.

»Ich kann nur soviel sagen, daß es kein Traum war. Es war eine Reise ins Unbekannte. Eine notwendige Reise, darf ich wohl sagen, und eine durchaus persönliche.«

 

 

 

 

Hilfsmittel beim Träumen (Technik)

 

»Um perfekt zu träumen, mußt du als erstes deinen inneren Dialog abstellen«, sagte er mir einmal. »Am besten gelingt dir dieses Abstellen, wenn du dir ein paar sechs bis acht Zentimeter lange Quarzkristalle oder ein paar glatte, flache Flußkiesel zwischen die Finger klemmst. Krümme die Finger und übe leichten Druck auf die Kristalle oder Kiesel aus.«

Auch Eisenstifte wären gut geeignet, sagte der Botschafter, wenn sie Länge und Breite der Finger hätten. Der Trick bestand darin, wenigstens drei solcher flacher Gegenstände zwischen die Finger beider Hände zu klemmen und einen beinah schmerzhaften Druck in den Händen zu erzeugen. Dieser Druck habe die sonderbare Eigenschaft, den inneren Dialog abzustellen. Der Botschafter bekannte seine Vorliebe für Quarzkristalle. Sie ergäben die besten Resultate, sagte er, wenngleich mit einiger Übung auch alles andere geeignet wäre. In einem Augenblick völliger Stille einzuschlafen garantiere einen perfekten Übergang in das Träumen, sagte die Stimme, und es garantiere auch eine Steigerung der Traum-Aufmerksamkeit.

»Träumer sollten einen goldenen Ring tragen«, sagte der Botschafter ein andermal, »vorzugsweise einen etwas eng sitzenden Ring.«

Dazu erklärte der Botschafter, daß ein solcher Ring als Brücke dienen könne, beim Wiederauftauchen vom Träumen in die alltägliche Welt oder beim Einsinken aus unserem alltäglichen Bewußtheit ins Reich der anorganischen Wesen.

»Wie funktioniert diese Brücke?« fragte ich. Denn ich hatte nicht verstanden, worum es ging.

»Der Kontakt der Finger mit dem Ring bildet den Brückenschlag«, sagte der Botschafter. »Wenn ein Träumer in meine Welt kommt und einen Ring trägt, so zieht dieser Ring die Energie meiner Welt an und hält sie gefangen. Diese Energie versetzt den Träumer, wenn nötig, wieder zurück in seine Welt, wobei der Ring die Energie in die Finger des Träumers abgibt.

 

Auch der Druck des Rings auf den Finger, den er umschließt, hilft mit, die Rückkehr des Träumers in seine Welt zu gewährleisten. Er gibt ihm ein anhaltend vertrautes Gefühl am Finger.«

Während einer anderen Traumsitzung sagte der Botschafter, daß unsere Haut das perfekte Werkzeug sei, um Energiewellen aus dem Modus der alltäglichen Welt in den Modus der anorganischen Wesen zu transformieren, und umgekehrt. Er empfahl mir, meine Haut trocken und frei von Ölen oder Pigmenten zu halten. Auch empfahl er, die Träumer sollten einen engen Gürtel, eine Kopfbinde oder ein Halsband tragen, um einen Druckpunkt zu schaffen, der auf der Haut als Zentrum für den Austausch von Energie diene. Die Haut sei von Natur aus dazu geeignet, erklärte er, Energie abzuschirmen; es komme aber darauf an, daß die Haut nicht nur Energie abschirme, sondern auch austausche - und zu diesem Zweck brauchten wir nur beim Träumen laut unsere Absicht auszusprechen.

Eines Tages gab mir die Stimme des Botschafters einen fabelhaften Tip. Um Schärfe und Exaktheit unserer TraumAufmerksamkeit zu gewährleisten, sagte er, müßten wir sie von der Gaumenplatte herabholen, wo bei allen Menschen ein gewaltiger Vorrat an Aufmerksamkeit vorhanden sei. Insbesondere empfahl er mir eine Übung, bei der es darum ging, die notwendige Disziplin und Kontrolle zu lernen, beim Träumen die Zungenspitze gegen das Gaumendach zu drücken. Dies sei ebenso schwierig und 
anstrengend, sagte der Botschafter, wie das Finden der eigenen Hände im Traum. Doch wenn sie gelinge, führe diese Übung zu erstaunlichen Resultaten beim Kontrollieren der TraumAufmerksamkeit.

 

 

 

Die Welt der Schatten

 

»Nicht nur der Kapitulation vor diesen Dingen, sondern der Kapitulation vor allem, was die anorganischen Wesen uns anbieten. Über einen gewissen Punkt hinaus ist es Zauberern ganz unmöglich, irgendein Angebot von ihnen anzunehmen.«

»Und was ist dieser gewisse Punkt, Don Juan?«

»Dieser Punkt ist von jedem einzelnen abhängig. Für jeden von uns kommt es darauf an, von dieser Welt nur das anzunehmen, was wir brauchen, und nicht mehr. Zu wissen, was sie brauchen, ist eine Kunst der Zauberer; aber nur das zu nehmen, was sie brauchen, ist ihre höchste Leistung. Diese einfache Regel nicht zu begreifen, ist das sicherste Mittel, um in eine Fallgrube zu stürzen.«

»Was geschieht, wenn man stürzt, Don Juan?«

»Wenn man stürzt, zahlt man den Preis. Und der Preis richtet sich nach den jeweiligen Bedingungen und nach der Tiefe des Sturzes. Aber eigentlich brauchen wir über solche Möglichkeiten gar nicht zu sprechen, denn hier geht es nicht um Bestrafung. Hier geht es um Energieströme - und zwar Energieströme, die Bedingungen schaffen können, schrecklicher als der Tod. Alles auf dem Pfad der Zauberer ist eine Frage auf Leben und Tod; auf dem Pfad des Träumens aber verschärft sich diese Option noch hundertfältig.«
Ich versicherte Don Juan, daß ich bei meinen Traumübungen stets höchste Vorsicht walten ließ und daß ich äußerst diszipliniert und gewissenhaft sei.

 

 

 

Blauer Scout

Don Juan war fest davon überzeugt, daß dieser bläuliche Klumpen Energie aus einer ganz anderen Dimension als der unseren gekommen sei - ein Scout, verirrt und gefangen wie eine Fliege im Netz einer Spinne.
Sein Vergleich gefiel mir überhaupt nicht. Er beunruhigte mich so stark, daß ich körperliche Beklemmung spürte. Ich verriet Don Juan nichts davon, und er sagte mir, daß mein Interesse für den gefangenen Scout ihn zur Verzweiflung treiben könne.

»Warum machst du dir Sorgen?« fragte ich.

»Es braut sich etwas zusammen in dieser verdammten Welt«, sagte er. »Und ich finde nicht heraus, was es ist.«

Solange ich bei Don Juan und seinen Gefährten blieb, träumte ich niemals von der Welt der anorganischen Wesen. Mein Training bestand wie immer darin, meine Traum-Aufmerksamkeit auf die Gegenstände meiner Träume sowie auf das Wechseln der Träume zu konzentrieren. Um meine Ängste zu neutralisieren, ließ Don Juan mich auf Wolken und ferne Berggipfel starren, Die Folge war, daß ich mich sogleich auf gleicher Höhe mit den Wolken fühlte - ein Gefühl, als befinde ich mich tatsächlich auf den fernen Gipfeln.

 

»Ich bin sehr zufrieden mit dir, aber auch sehr besorgt«, bemerkte Don Juan zu meinen Bemühungen. »Du lernst wahre Wunder kennen, aber du weißt es nicht mal, Und ich behaupte nicht, daß ich dich diese Dinge lehren würde.«
»Du meinst die anorganischen Wesen, nicht wahr?«
"Ja, die anorganischen Wesen.

 

Die dritte Pforte

»Die dritte Pforte des Träumens ist erreicht, wenn du im Traum jemand anderen schlafen siehst, und dieser andere bist du selbst«, sagte Don Juan.
Meine Energie war damals so hochtransformiert, daß ich gleich an der dritten Aufgabe zu arbeiten begann, auch wenn er mir keine weiteren Informationen darüber gab. Das erste, was ich bei meinen Traumübungen bemerkte, war, daß ein Energieschub sofort den Schwerpunkt meiner Traum-Aufmerksamkeit verlagerte. Ich konzentrierte mich nun auf das Erwachen im Traum, wobei ich mich selbst schlafen sah, Reisen ins Reich der anorganischen Wesen beschäftigten mich nicht mehr.
Bald danach sah ich mich schlafend in einem Traum. Sofort berichtete ich es Don Juan. Der Traum kam mir, während ich in seinem Haus war.

»Zwei Phasen gibt es bei jeder Traumpforte«, sagte er, »Die erste ist, wie du weißt, das Erreichen der Pforte, Die zweite ist das Hindurchschreiten, Indem du träumtest, was du geträumt hast, 
nämlich daß du dich schlafen sahst, erreichtest du die dritte Pforte. Die zweite Phase ist nun, umherzugehen, nachdem du dich im Schlaf gesehen hast.«

»Bei der dritten Traumpforte«, fuhr er fort, »beginnst du deine Traum-Wirklichkeit bewußt mit der alltäglichen Wirklichkeit zu verschmelzen. Dies ist der vorgesehene Ausbildungs-Drill, und die Zauberer bezeichnen es als Vervollständigung des Energiekörpers. Die Verschmelzung der beiden Realitäten soll so gründlich erfolgen, daß du beweglicher sein mußt denn je. An der dritten Pforte mußt du alles untersuchen, mit großer Vorsicht und Neugier.«

Ich beschwerte mich, seine Empfehlungen seien mir zu rätselhaft und unbegreiflich. »Was verstehst du unter Vorsicht und Neugier?« fragte ich.

»Vor der dritten Pforte haben wir die Neigung, uns in Details zu verlieren«, antwortete er. »Alles mit großer Vorsicht und Neugier zu betrachten bedeutet, daß wir der beinah unwiderstehlichen Versuchung widerstehen, uns Hals über Kopf in Einzelheiten zu stürzen.
Der vorgeschriebene Drill bei der dritten Pforte ist, wie ich sagte, die Konsolidierung des Energiekörpers. Die Träumer bauen den Energiekörper allmählich auf, indem sie die Aufgaben der ersten und zweiten Pforte erfüllen. Wenn sie die dritte Pforte

erreichen, ist der Energiekörper bereit herauszukommen - besser gesagt, er ist bereit zu handeln. Leider heißt dies auch, daß er bereit ist, sich von Einzelheiten hypnotisieren zu lassen.«

»Was heißt es, sich von Einzelheiten hypnotisieren zu lassen?«

»Der Energiekörper ist wie ein Kind, das sein Leben lang eingesperrt war. Sobald er nun frei wird, saugt er alles auf, was er finden kann, und ich meine buchstäblich alles. Jedes belanglose, winzige Detail absorbiert den Energiekörper gänzlich.«

Es folgte ein verlegenes Schweigen. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte ihn genau verstanden, aber aus eigener ' Erfahrung konnte ich mir keine Vorstellung machen, was dies alles bedeuten mochte.

»Die dümmste Kleinigkeit kann für den Energiekörper zu einer eigenen Welt werden«, erklärte Don Juan. »Die Träumer müssen alles daransetzen, den Energiekörper zu steuern. Ich weiß, es ist eine unbeholfene Umschreibung, wenn ich dir rate, die Dinge mit Vorsicht und Neugier zu betrachten, aber es ist die beste Bezeichnung für das, was du tun solltest. An der dritten Pforte müssen die Träumer den unwiderstehlichen Drang vermeiden, sich einfach auf alles zu stürzen - und sie vermeiden ihn, indem sie so neugierig darauf brennen, auch alles andere kennenzulernen, daß sie sich nicht von einer Einzelheit gefangennehmen lassen.«

 

 

 

Objekte können auch den Montagepunkt verschieben

Der Energiekörper weiß ungeheuer viel. Komm, ich werde dir zeigen, wieviel er weiß.«

Er befahl mir, mich in völlige innere Stille zu versetzen. Und er erinnerte mich daran, daß ich mich bereits in einem besonderen Bewußtseinszustand befinde, weil mein Montagepunkt sich durch seine Gegenwart verlagert habe. Er versicherte mir, daß das Eintreten in völlige Stille es den Skulpturen in diesem Saal ermöglichen würde, mich Unausdenkbares sehen und hören zu machen. Offenbar um meine. Verwirrung noch zu mehren, fügte er hinzu, daß einige der archäologischen Objekte in diesem Saal die Fähigkeit hätten, von sich aus eine Verlagerung des Montagepunkts zu bewirken; und daß ich, im Zustand völliger Stille, tatsächlich manches aus dem Leben der Menschen sehen wurde, die diese Gegenstände gemacht hatten.

Und dann begann für mich der sonderbarste Museumsrundgang, den ich je erlebt habe, Im Saal auf und ab schreitend, schilderte und interpretierte er mir erstaunliche Details all dieser großen Ausstellungsstücke, Ihm zufolge war jedes archäologische Stück in diesem Saal ein von den Menschen der Vorzeit absichtlich hinterlassenes Protokoll - ein Protokoll, das Don Juan als Zauberer mir vorlesen konnte, fast wie ein Buch.

 

 

 

 

Ohne Rekapitulation keine Träume

 

»Das Rekapitulieren geht zu stark an meine Substanz, Don Juan. Vielleicht gibt es etwas anderes, was ich tun könnte?«

»Nein, gibt es nicht. Rekapitulation und Träumen gehen Hand in Hand. Während wir unser Leben zurückspulen, werden wir immer leichter und unbeschwerter.«

Über diese Rekapitulation des eigenen Lebens hatte Don Juan mir sehr ausführliche und genaue Anweisungen gegeben. Sie bestand darin, alle Erfahrung des Lebens noch einmal nachzuerleben, indem man jede noch so kleine Einzelheit erinnerte. In solcher Rekapitulation sah er den entscheidenden Faktor bei der energetischen Neubestimmung und Neugestaltung eines Träumers. »Die Rekapitulation setzt Energie frei, die sonst gefangen ist; und ohne diese befreite Energie ist Träumen nicht möglich.« Das war sein Standpunkt.

Vor Jahren einmal hatte Don Juan von mir verlangt, ein Verzeichnis von allen Leuten anzulegen, die ich in meinem Leben kennengelernt hatte, angefangen mit der Gegenwart. Er half mir, dieses Verzeichnis in eine ordentliche Reihenfolge zu bringen, und unterteilte sie in Tätigkeitsbereiche wie Arbeitsplätze, die ich gehabt hatte, Schulen, die ich besucht hatte, usw. Dann hielt er mich an, von der ersten Person meiner Liste ausnahmslos bis zur letzten fortschreitend, jede meiner Interaktionen mit diesen Leuten nachzuerleben. Das Rekapitulieren eines Ereignisses, erklärte er, beginnt damit, daß man im Geist alles zusammenstellt, was mit dem zu 
rekapitulierenden Ereignis zusammenhängt. Solches Zusammenstellen bedeutet, das Ereignis zu rekonstruieren, Stück um Stück, angefangen bei der Erinnerung an physische Details der Umgebung, dann fortschreitend zu der Person, mit der man es bei der Interaktion zu tun hatte, bis man zu sich selbst gelangt, um seine eigenen Gefühle zu untersuchen.

Don Juan lehrte mich auch, die Rekapitulation mit einer natürlichen, rhythmischen Atmung zu kombinieren. Langsam ausatmend, wird der Kopf langsam und sachte von rechts nach links bewegt; und langsam einatmend, schwenkt der Kopf wieder von links nach rechts. Dieses Schwenken des Kopfes nannte er das »Entfächern des Ereignisses«. Dabei wird das Ereignis in Gedanken durchgespielt, von Anfang bis Ende, während der Körper immer wieder entfächert, worauf unser Geist sich konzentriert.

Don Juan sagte, daß die Zauberer der Vorzeit, als Erfinder der Rekapitulation, das Atmen als magischen, lebenspendenden Akt betrachteten und es entsprechend als magisches Vehikel nutzten. Das Ausatmen diente dazu, die fremde Energie auszustoßen, die während der rekapitulierten Interaktion in ihnen zurückblieb, und das Einatmen dazu, die Energie zurückzuholen, die sie selbst während der Interaktion zurückgelassen hatten,

Aufgrund meiner wissenschaftlichen Ausbildung faßte ich die Rekapitulation als Selbstanalyse des eigenen Lebens auf. Don Juan aber beharrte darauf, daß es mehr sei als eine intellektuelle Psychoanalyse. Er bezeichnete die Rekapitulation als einen Trick 
der Zauberer, um eine winzige, aber dauernde Verschiebung des Montagepunkts zu bewirken. Unter dem Eindruck einer solchen Überprüfung der Vergangenheit, sagte er, wechselt der Montagepunkt zwischen seinem gegenwärtigen Platz und dem Platz hin und her, den er einnahm, als das rekapitulierte Ereignis stattfand.

Die Begründung der alten Zauberer für diese Rekapitulation, erklärte Don Juan, war deren Überzeugung, daß es eine unvorstellbare Kraft der Auflösung im Universum gibt, die den Organismen Leben schenkt, indem sie ihnen Bewußtsein verleiht. Diese Kraft läßt auch die Organismen sterben, um eben dieses verliehene Bewußtsein wiederzuerlangen, das die Organismen durch die Erfahrungen ihres Lebens noch vermehrt haben. Don Juan erklärte mir die Überlegung der alten Zauberer: weil es nämlich unsere Lebenserfahrung sei, auf die es diese Kraft abgesehen habe, hielten sie es für äußerst wichtig, diese Kraft durch eine Kopie unserer Lebenserfahrung zufriedenzustellen: nämlich die Rekapitulation des Lebens..Wenn die auflösende Kraft also bekommt, was sie wünscht, gibt sie die Zauberer frei: nämlich frei, ihre Wahrnehmungsfähigkeit zu erweitern und damit bis an die Grenzen von Raum und Zeit vorzustoßen.

 

»Das Träumen verlangt. alle uns verfügbare Energie«, antwortete er. »Wenn es in unserem Leben elwas gibt, was uns stark in Anspruch nimmt, ist Träumen unmöglich.«

»Ich war schon öfter von etwas anderem in Anspruch genommen, aber nie wurden meine Übungen dadurch unterbrochen«, sagte ich.

»Dann warst du wahrscheinlich nicht in Anspruch genommen, sondern ein Opfer deiner Selbstüberschätzung«, lachte er. »In Anspruch genommen zu sein heißt für Zauberer, daß alle unsere Energiequellen beansprucht werden. Dies ist das erste Mal, daß du alle deine Energiequellen heranziehen mußt. Sonst aber, auch wenn du früher rekapituliertest, warst du niemals ganz davon beansprucht.« Diesmal gab Don Juan mir eine neue Form der Rekapitulation auf. Ich sollte verschiedene Ereignisse meines Lebens rekapitulieren, scheinbar ohne jede Ordnung, wie bei einem Puzzle.

»Das wird aber ein schönes Durcheinander«, protestierte ich.

»Nein, wird es nicht«, versicherte er. »Es wird ein Durcheinander, wenn du dein kleinliches Eigeninteresse entscheiden läßt, welche Ereignisse du rekapitulieren willst. Laß doch statt dessen den Geist entscheiden. Werde ganz still, und dann befasse dich mit dem Ereignis, das der Geist dir zeigt.« Die Ergebnisse dieser Form von Rekapitulation waren in mancher Hinsicht schockierend für mich. 

 

 

 

Wenn du Angst, hast halte dich am Pimmel fest !

 

 

»Du liebst dramatische Übertreibungen«, sagte er ungerührt. »Natürlich hast du dich wirklich im Schlaf gesehen. Das Dumme ist nur, daß du nervös wurdest, weil dein Energiekörper sich nie zuvor seiner Ganzheit bewußt war. Solltest du je wieder nervös werden und frieren, dann halte dich an deinem Pimmel fest. Das wird deine Körpertemperatur sofort und problemlos wieder in die Höhe treiben.«
Seine Derbheit kränkte mich. Sein Rat aber erwies sich als wirksam. Das nächste Mal, als ich in Panik geriet, konnte ich mich augenblicklich entspannen und wieder normal fühlen, indem ich tat, was er mir empfohlen hatte. Auf diese Art entdeckte ich, daß ich, wenn ich nicht zauderte und meinen Ärger beherrschte, nicht in Panik geriet. Die Kontrolle zu behalten half mir zwar nicht, mich im Traum zu bewegen, aber es gab mir ein Gefühl tiefer Ruhe und Gelassenheit.

 

 

 

Wie man den Montagepunkt anpirscht

 

»Du läßt deinen Energiekörper einfach beabsichtigen, die optimale Traumposition zu erreichen«, erklärte er. »Dann läßt du deinen Energiekörper beabsichtigen, in dieser Position zu bleiben, und schon pirschst du.«

Er sah mich an und drängte mich augenzwinkernd, über seine Worte nachzudenken. »Das Geheimnis liegt in der Absicht; aber das weißt du schon«, sagte er. »Die Zauberer verschieben ihren Montagepunkt, indem sie es beabsichtigen, und sie fixieren ihn auch, indem sie es beabsichtigen. Für das Beabsichtigen aber gibt es keine Technik. Man beabsichtigt einfach, indem man beabsichtigt.«

 

Beim Träumen Energie sehen

»Was dir nun bevorsteht, ist ein Juwel für die Zauberer«, fuhr Don Juan fort. »Du wirst üben, in deinen Träumen Energie zu sehen. Die Aufgabe der dritten Traumpforte hast du erfüllt, namlich, den Energiekörper von selbst sich bewegen zu lassen. Jetzt sollst du die eigentliche Aufgabe erfüllen: Energie zu sehen, mit deinem Energiekörper.
Tatsächlich hast du schon oft Energie gesehen«, fuhr er fort. »Aber das Sehen war jedesmal Zufall. Jetzt sollst du es aus eigenem Willen tun.
Die Träumer haben eine Faustregel«, fuhr er fort. »Wenn ihr Energiekörper komplett ist, sehen sie Energie immer dann, wenn sie einen Gegenstand der alltäglichen Welt anstarren. Wenn sie im Traum die Energie eines Gegenstandes sehen, wissen sie, daß sie 
es mit einer realen Welt zu tun haben, ganz gleich, wie verzerrt diese Welt ihrer Traum-Aufmerksamkeit erscheinen mag. Wenn sie nicht die Energie eines Gegenstands sehen, sind sie in einem gewöhnlichen Traum, nicht in einer realen Welt.«

»Was ist eine reale Welt, Don Juan?«

»Eine Welt, die Energie hervorbringt; das Gegenteil einer Phantomweilt von Projektionen, wo keine Energie erzeugt wird, wie in den meisten unserer Träume, wo nichts einen energetischen Effekt hat.«

Und dann gab Don Juan mir eine neue Definition des Träumens: ein Prozeß, durch den Träumer jene Bedingungen des Träumens isolieren, durch die sie Energie erzeugende Elemente im Traum finden können. Anscheinend guckte ich verständnislos. Don Juan erkannte mein Dilemma und gab mir lachend noch eine weitere, noch kompliziertere Definition: Träumen ist ein Prozeß, durch den wir beabsichtigen, adäquate Positionen des Montagepunktes zu finden - Positionen, die uns erlauben, Energie erzeugende Gegenstände in traumverwandten Zuständen wahrzunehmen.
Und er erklärte mir, daß der Energiekörper auch solche Energie wahrnehmen kann, die ganz verschieden ist von jener unserer Welt, wie im Fall der Traumgegenstände im Reich der anorganischen Wesen, die der Energiekörper als brutzelnde Energie wahrnehme. In unserer Welt, fügte er hinzu, brutzeln die
Dinge nicht; hier flimmern sie.

 

 

 

 

Wie sehe ich beim Träumen

 

Um beim Träumen zu sehen, sagte Don Juan, müsse ich nicht nur das Sehen beabsichtigen, sondern auch meine Absicht laut
aussprechen. Aus Gründen, die er allerdings nicht erklären wollte, beharrte er darauf, ich müsse dıes laut sagen. Wohl räumte er ein, es gebe auch andere Mittel zum selben Zweck, aber er war überzeugt, das Aussprechen der eigenen Absicht sei der einfachste und direkteste Weg.

 

 

 

Wiederhole diesen Satz am besten jeden Tag

 

»Ich möchte dir etwas ganz Verrücktes vorschlagen, das eine Wendung herbeiführen könnte«, sagte er, »Wiederhole dir unaufhörlich, daß das Mysterium des Montagepunktes der Dreh und Angelpunkt der Zauberei ist, Wenn du es dir lange genug wiederholst, wird eine unsichtbare Kraft die Führung übernehmen und die geeigneten Veränderungen in dir bewirken.«

Die Farben der Scouts

»Es ist ärgerlich, daß sie stets mit Traumbildern unserer Eltern oder naher Freunde verbunden sind«, fuhr er fort. »Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns manchmal unbehaglich fühlen, wenn wir von ihnen träumen.« Sein Grinsen machte mir den Eindruck, als genieße er meine Verwirrung. »Als Faustregel nehmen die Träumer an, daß ein Scout dieses dritten Typs immer dann zugegen ist, wenn sie sich in einem Traum von ihren Eltern oder Freunden belästigt fühlen. Ich kann dir vernünftigerweise nur raten, solche Traumbilder zu meiden. Sie sind reines Gift.«

»Wo steht der blaue Scout im Verhältnis zu anderen Scouts?« fragte ich.

»Blaue Energie brutzelt nicht«, antwortete er. »Sie ist der unseren ähnlich. Sie flimmert, aber sie ist blau statt weiß. Blaue Energie gibt es in unserer Welt nicht im Naturzustand.

Und dies bringt uns zu einer Frage, über die wir nie gesprochen haben. Von welcher Farbe waren die Scouts, die du bislang gesehen hast?«
Bis zu diesem Augenblick, da er davon sprach, hatte ich es mir nie überlegt. Nun erzählte ich Don Juan, daß die Scouts, die ich gesehen hatte, rötlich oder rosarot waren. Und er sagte, daß die gefährlichen Scouts vom dritten Typ leuchtend orange wären.

 

 

 

Aus dem Reich der anorganischen Wesen

 

Ich versicherte Don Juan, daß ich nicht in der Welt der anorganischen Wesen sein wolle, ganz gleich, welche Vorteile sie zu bieten hatte. Was ich sagte, schien ihm unerhört zu gefallen.

»Dann bist du bereit für eine letzte Aussage über diese Welt. Die schrecklichste Aussage, die ich machen kann«, sagte er - und versuchte zu lächeln, schaffte es aber nicht ganz.

Don Juan sah mir forschend in die Augen. Ich glaube, er suchte nach einem Funken Zustimmung oder Einverständnis. Dann schwieg ereine Weile. 

»Die Energie, die nötig ist, um den Montagepunkt der Zauberer zu bewegen, kommt aus dem Reich der anorganischen Wesen«, sagte er, als beeile er sich, es hinter sich zu bringen.

Mir blieb fast das Herz stehen. Mich schwindelte, und ich mußte mit dem Fuß aufstampfen, um nicht in Ohnmacht zu fallen.

»Dies ist die Wahrheit«, fuhr Don Juan fort. »Und es ist das Vermächtnis der alten Zauberer an uns. Sie haben uns damit gefesselt, bis auf den heutigen Tag. Dies ist der Grund, warum ich sie nicht leiden kann. Ich hasse es, nur aus einer Quelle schöpfen zu müssen. Ich persönlich weigere mich, es zu tun. Und ich habe versucht, dich davon abzuhalten. Doch erfolglos, weil etwas dich magnetisch in diese Welt zieht.«

 

Dunkle Energie

Energie zu sehen, den Energiekörper zu komplettieren, und so weiter, Für solche Manöver brauchen die Zauberer ungeheure Mengen dunkler, fremder Energie.«
»Aber wie bekommen sie diese Energie aus der Welt der anorganischen Wesen?«
»Einfach, indem sie in diese Welt gehen. Alle Zauberer unserer Linie haben dies getan. Aber keiner von uns ist so töricht, das zu tun, was du getan hast. Allerdings nur, weil keiner deine Veranlagung hat.«

***

»Ihr beide sollt die Grenzen der alltaglichen Welt durchbrechen und, Bewußtsein als energetisches Element nutzend, in eine andere Welt eintreten«, sagte er. »Dieses Durchbrechen und Eintreten ist nichts anderes als das Anpirschen der Pirscher. Wenn man Bewußtheit als Element der Umwelt benutzt, so umgeht man den Einfluß der anorganischen Wesen, nutzt aber gleichwohl deren Energie.«

 

 

 

 

Anorganische Wesen sind Weiblich

 

»Nein, ich behaupte keineswegs das Gegenteil«, meinte er, als ich ihm dies vorhielt. »Ich habe dir gesagt, daß die anorganischen Wesen nicht hinter Frauen her sind. Sie haben es nur auf Männer abgesehen. Aber ich habe dir auch gesagt, daß die anorganischen Wesen weiblichen Geschlechts sind und daß das ganze Universum überwiegend weiblich ist. Also, zieh deine eigenen Schlüsse.«

Weil ich aber daraus keine Schlüsse zu ziehen wußte, erklärte mir Don Juan, daß Zauberinnen, zumindest in der Theorie, aufgrund ihrer gesteigerten Bewußtheit und ihrer Weiblichkeit imstande wären, in dieser Welt nach Belieben aus und ein zu gehen.

 

 

 

Energie vereinigen

 

Und wenn man Bewußtheit als Mittel benutze, um eine Reise in andere Welten zu unternehmen, so sei dies nicht Folge irgendwelcher angewandter Techniken, sondern einzig der Tatsache, daß man es beabsichtigt und genügend Energie hat. Wenn Carol Tiggs’ ganze Energie der meinen hinzugefügt würde oder meine gesamte Energie der Energie Carols, so würde uns dies zu einer einzigen Einheit verbinden, die energetisch imstande wäre, unsere Körperlichkeit aufzuheben und sie auf den Energiekörper zu übertragen - um auf diese Weise die Reise anzutreten.

»Was müssen wir genau tun, um in diese andere Welt einzutreten ?« fragte Carol. Ihre Frage erschreckte mich beinah zu Tode; ich hatte geglaubt, sie wisse, was uns bevorstand.

»Es geht darum, eure gesamte körperliche Masse auf den Energiekörper zu übertragen«, antwortete Don Juan und sah ihr in die Augen. »Die große Schwierigkeit dieses Manövers liegt darin, den Energiekörper zu disziplinieren - aber das habt ihr beide schon getan. Mangelnde Disziplin wäre der einzige Grund, warum ihr bei der Aufgabe scheitern könntet, diese höchste Form des Pirschens zu verwirklichen. Manchmal gelingt es einem normalen Menschen aus Zufall, dies Meisterstück zu bewältigen und in eine
andere Welt vorzustoßen. Dies aber wird unweigerlich als Wahnsinn oder als Halluzination erklärt.«

 

 

 

Die vierte Pforte

 

Wir sind nur Figuren in seiner Hand. Den Befehlen des Geistes gehorchend, muß ich dir nun sagen, was die vierte Pforte des Träumens ist, auch wenn ich dich nicht mehr dorthin führen kann.«

»Welchen Sinn hätte es, mich neugierig zu machen? Ich möchte es lieber nicht wissen.«

»Dies stellt der Geist nicht dir oder mir anheim. Ich muß dir die vierte Pforte des Träumens zeigen, ob es mir gefällt oder nicht.«

Und Don Juan erklärte, daß der Energiekörper an der vierten Traumpforte zu ganz spezifischen, konkreten Orten reisen kann - und daß es drei Arten gibt, die vierte Pforte zu nutzen: erstens, um zu konkreten Orten in dieser Welt zu reisen; zweitens, um zu konkreten Orten außerhalb dieser Welt zu reisen; und drittens, um zu Orten zu reisen, die nur in der Absicht anderer existieren. Die letztere Art, sagte er, sei die schwierigste und gefährlichste von allen dreien; sie sei bei weitem die Vorliebe der alten Zauberer gewesen.
»Was soll ich mit diesem Wissen anfangen?« fragte ich.
»Im Augenblick - nichts. Hefte es ab, bis du es brauchst.«

 

 

 

Position beim Träumen ( Technik )

 

»Nun, ich lege Wert darauf«, sagte sie und stand auf.

Sie wechselte mit mir den Platz. Sie saß nun zu meiner Rechten und flüsterte mir ins andere Ohr, daß die Position, in die man den Körper bringt - nach allem, was sie wisse - von höchster Bedeutung sei. Um dies auszuprobieren, schlug sie mir eine heikle, aber ganz einfache Übung vor.

 

»Lege dich zu Beginn des Träumens auf die rechte Seite, die Knie leicht angezogen«, sagte sie, »Die Disziplin besteht darin, diese Position beizubehalten und in ihr einzuschlafen. Im Träumen besteht die Übung nun darin, daß du träumst, dich genau in derselben Position hinzulegen und wiederum einzuschlafen.«

»Und was bewirkt das?« fragte ich.

»Es bewirkt, daß der Montagepunkt genau - ja, genau - an der Stelle bleibt, wo er sich im Augenblick des zweiten Einschlafens befindet.«

»Was ist das Ergebnis einer solchen Übung?«

»Die totale Wahrnehmung. Ich bin überzeugt, deine Lehrer haben dir gesagt, daß meine Geschenke die Gaben totaler Wahrnehmung sind.«

»Ja. Aber ich weiß nicht recht, was totale Wahrnehmung bedeutet«, log ich.

Sie ging über meinen Einwand hinweg und verriet mir dann die vier Variationen dieser Übung, nämlich das Einschlafen auf der rechten Seite, auf der linken Seite, auf dem Rücken und auf dem Bauch. Beim Träumen bestand die Übung nun darin, ein zweites Mal in der gleichen Position einzuschlafen, in der man mit dem Träumen begonnen hatte. Sie verhieß mir außerordentliche Resultate, die, wie sie sagte, nicht vorhersehbar wären.

 

 

 

 

Auch eine Möglichkeit Energie beim Träumen zu sehen (villeicht die klügere, als zu rufen)

 

Ich deutete mit dem linken kleinen Finger auf ein Haus. Es war keine Energie in dem Haus. Das Haus war wie jeder beliebige Gegenstand in einem gewöhnlichen Traum. Ich deutete auf alles mögliche in der Umgebung - mit gleichem Resultat.

»Deute auf mich«, forderte sie mich auf. »Du sollst bestätigt finden, daß dies die Methode ist, die Träumer einhalten, um zu sehen.«

Sie hatte völlig recht. Dies war die Methode. Kaum deutete ich mit dem Finger auf sie, als sie zu einer Energieblase wurde. Einer sehr eigenartigen Energieblase, darf ich hinzufügen. Ihre energetische Gestalt war genau so, wie Don Juan sie mir beschrieben hatte: sie sah aus wie eine riesige Muschel, eingerollt längs dem Spalt in ihrer Mitte.

»Ich bin das einzige Energie erzeugende Wesen in diesem Traum«, sagte sie. »Es wäre also richtiger für dich, alles andere nur zu beobachten.«

In diesem Moment dämmerte mir zum erstenmal die ganze Ungeheuerlichkeit von Don Juans Streich. Er war also wirklich imstande gewesen, mich im Traum brüllen zu lassen, nur damit ich in der Traumstille dieser dem Tode Trotzenden losbrüllen würde. Ich fand den Trick so witzig, daß ich vor Lachen beinah erstickte.

 

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